Romanzen-, Beziehungs- und Sexsucht
Gemäss Anne Wilson Schäf (1992) ist es wichtig, die Romanzensucht von den beiden anderen Formen, Beziehungs- und Sexsucht zu trennen.

Jede Sucht hat bestimmte Merkmale mit allen anderen Suchtformen gemeinsam; jede Sucht ist jedoch auch durch ihre eigenen spezifischen Kernfragen und Probleme gekennzeichnet, die eine je spezifische Behandlungsform erfordern. Romanzensucht ist nicht dasselbe wie Sexsucht. Tatsächlich muss Sexsucht überhaupt nichts mit romantischen Gefühlen zu tun haben. «Liebes- und Romanzensucht unterscheiden sich auch von Beziehungssucht. Wer von einer Beziehung abhängig ist, legt nicht notwendigerweise Wert auf Liebe und Romantik (oder Sex). Menschen, die von Liebe und Romanzen abhängig sind, beziehen ihren Rausch, ihren «Kick», nicht aus Sex und nicht aus Beziehungen, sondern aus Liebe und Romanzen.

Romanzensucht
Romanzensüchtige sind so unehrlich wie andere Süchtige auch. Sie signalisieren ihre Bereitschaft für eine Beziehung oder Sex, wollen im Grunde genommen jedoch beides nicht. Vielmehr suchen sie den «Kitzel», das «Risiko», das in einer neuen Romanze oder einem romantischen Erlebnis liegt. Kerzenlicht, Blumen, sentimentale Schauplätze, verträumte Orte – das ist der Stoff, aus dem die Romanzensucht besteht.
Verleugnung ist ein wichtiger Teil der Romanzensucht. Die reale Welt darf keinesfalls in die Phantasie eindringen. Es ist schon verblüffend, wie hartnäckig dieses Verleugnungssystem sein kann, wenn es dazu führt, dass über Jahre hinweg an enttäuschenden romantischen Begegnungen festgehalten wird und die abhängige Person immer noch erwartet, dass Beziehungen wie Märchen sein müssen. In dieser Hinsicht spielen auch unklare, uneindeutige Verhaltensmuster eine wichtige Rolle, denn sie verhindern, dass der Betroffene sich selbst gegenüber eine Verpflichtung eingeht oder Klarheit verschafft. Wie alle anderen Süchtigen haben Romanzensüchtige ein geringes Selbstwertgefühl. Sie empfinden sich stets als Versager, was ihre hochgeschätzten und anspruchsvollen Illusionen angeht, und sie glauben, sie könnten den echten Prinzen (oder die Prinzessin) anziehen, wenn sie nur perfekter wären.
Im Leben von romanzensüchtigen Menschen dreht sich alles um den oberflächlichen Schein. Sie wollen ihre möglichen Partner gar nicht richtig kennen. Sie wollen lediglich eine gute Figur mit ihnen machen. Romanzensüchtige verstehen es hervorragend, unmittelbare Nähe herzustellen. «Wir sahen uns nur in die Augen, und ich wusste, dass es Liebe war.» Sie haben Angst vor echter Nähe, und mittels ihrer Krankheit vermeiden sie diese auch – wie alle anderen Süchtigen.
Dies Sucht wirkt unter darüber hinaus stimmungsändernd. Man kann durch einen Song «high» werden, eine Umgebung, eine Erinnerung, eine Illusion oder ein Ereignis. In dieser Gesellschaft werden Romanzensüchtige geradezu mit Dingen bombardiert, die ihnen den erwünschten «Kick» verschaffen – und all diese Dinge bewirken eine Stimmungsänderung.

Beziehungssucht
Bei der Beziehungssucht sollten wir zwei Haupttypen unterscheiden. Unter den ersten Typen fallen Menschen, die immer irgendeine Beziehung brauchen, die nach Beziehungen selbst süchtig sind – seien diese nun real oder phantasiert. Zum zweiten Typ zählen Menschen, die von einer ganz bestimmten Beziehung zu einer ganz bestimmten Person abhängig sind. Im ersten Fall ist der Süchtige auf eine Idee fixiert, im zweiten Fall auf eine Person. Beziehungssüchtige vom Typ II können oftmals über lange Zeiträume hinweg ohne jede Bindung auskommen, doch sobald sie dann eine Beziehung eingehen, fixieren sie sich sofort auf den Partner. Beziehungssüchtige vom Typ I sind eher süchtig nach der Vorstellung einer Beziehung. eigentlich haben sie keine Beziehungen, sondern Geiseln. Sie gehen eine Bindung mit ihrer Idee von einer Beziehung ein, wobei der wirkliche Partner überhaupt keine Rolle spielt. Beiden Typen ist gemeinsam, dass sie bereitwillig ihre spirituellen und moralischen Wertvorstellungen aufgeben, damit sie an der Illusion festhalten können, sie lebten in einer Beziehung. Tatsächlich ist es die Illusion, die Beziehungssüchtigen Typ I den «Kick» ermöglicht. Die stimmungsverändernde Droge ist für sie die Phantasie oder der Glaube, sie hätten eine Beziehung. Sie sind von einer mutmasslichen Bindung besessen und nicht von einer Person.

Bei beiden Beziehungstypen lässt sich folgendes beobachten:
Besessenheit: Die Beziehung beherrscht das gesamte Denken, sie wirkt sich fast tranceartig und stimmungsverändernd aus; die Betreffenden gehen vollkommen in der Beziehung auf.
Ritualisierung: Aufnahme von Verhaltensweisen, die im Zusammenhang mit dem «Aufbau einer Beziehung» stehen, wie etwa Gewichtsverlust, Verschönerungskuren durch neue Frisuren, Kleidung, Make-up und so weiter, oft mit ritualisiertem «Werbe-»Verhalten verbunden.
Zwanghaftes Beziehungsverhalten: umgehender Aufbau einer Beziehung und möglichst bald «Heirat» sprechen oder tatsächlich heiraten oder sich anderweitig festlegen oder unbedingt an der Beziehung festhalten, als ginge es ums Leben.
Verzweiflung: Bewusstsein dafür, dass dieser «Fix» nicht funktioniert, und damit verbundene Gefühle der Hoffnungslosigkeit und Machtlosigkeit.

Beiden Typen ist der absolute Horror vor dem Alleinsein gemeinsam. Sie fühlen sich schon allein, wenn nur kurzzeitig kein Menschen in ihrer unmittelbarer Nähe ist. Daher müssen sie sich fast zwangsläufig von einer Beziehung in die nächste stürzen. Sie nehmen sich nie die Zeit, um die schmerzvollen Gefühle nach dem Ende einer Beziehung zu durchleben, vielmehr tragen sie all diese unverarbeiteten Gefühle in die neue Beziehung hinein.

Besonders Beziehungssüchtige Typ II leiden unter selektivem Gedächtnisschwund. Damit sie in einer Beziehung leben oder diese aufrechterhalten können, vergessen sie gezielt Elemente dessen, was vor einem Jahr, letzte Woche oder gestern war. Beziehungssüchtige belügen sich selbst und andere, damit nicht sichtbar wird, welche Opfer sie für sich und die Familie auf sich nehmen – um in der Beziehung verbleiben zu können.
Beziehungssüchtige geben nicht nur ihre moralischen und spirituellen Wertvorstellungen auf. Sie verwenden auch unendlich viel Zeit auf den Versuch, die Beziehung aufrechtzuerhalten, so dass ihnen die notwendige Zeit für ein wie immer geartetes spirituelles Leben oder für ihre Persönlichkeitsentwicklung fehlt.
Zudem haben Beziehungssüchtige ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis. Sie sind überzeugt, dass sie Beziehungen alleine durch pure Willenskraft machen können; sie meinen, die anderen durch blosse Hartnäckigkeit zur Liebe bewegen zu können.

Was wir vor kurzem noch als Co-Abhängigkeit bezeichnet haben, ist vermutlich Beziehungssucht, und wahrscheinlich sind auch viele Co-Sexsüchtige in Wirklichkeit Beziehungssüchtige. Kontrollierendes Verhalten, das im Zentrum der Co-Abhängigkeit steht, mag genauso gut auf Beziehungssucht hindeuten. Daher müssen wir Co-Abhängigkeit und Beziehungssucht getrennt betrachten und beide Begriffe aufklären.

Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass ein von Beziehungen abhängiger Mensch in einer dysfunktionalen Familie gross geworden ist. Oftmals sieht es so aus, als gäbe es für Beziehungssüchtige nur einen einzigen Weg, um einer zerstörerischen unglücklichen Familiensituationen zu entkommen: Die Beziehung. Die Hoffnung auf eine Beziehung ist gleichzeitig die Hoffnung auf das Ticket in die Freiheit. Da sie jedoch kaum irgendwelche Fähigkeiten zum Aufbau einer echten Beziehung besitzen, sehen sie in einer Beziehung geradezu ein magischen Heilmittel. Man könnte beinahe sagen, sie seien süchtig nach dem «Paar-Sein». Normalerweise haben sie keinerlei eigene Identität aufgebaut.

Sexsucht
Sexsucht bedeutet, eine Beziehung mit sich selbst führen. Sexuelle Süchtigkeit geht -wie alle anderen Suchtarten – mit dem Verlust der Spiritualität und dem Verfall der persönlichen Wertvorstellungen einher. Sexsucht ist eine Besessenheit, eine Überbeschäftigung mit Sex, bei dem alles und jedes mit Sex in Verbindung gebracht wird und alle Wahrnehmungen und Beziehungen unter einem sexualisierten Licht gesehen werden. Sexsucht wird von einem besonders starken Schamgefühl und infolgedessen von Verleugnung begleitet. Verleugnung ist ein Merkmal von Sucht. Sexuelle Verleugnung ist ein Merkmal von Sexsucht. Dies kann sich z.B. dadurch äussern, dass eine Person dauern auf der Suche ist und glaubt, wenn bloss der richtige Partner unter den richtigen Umständen mit den richtigen Gefühlen auftauchen würde, dann vielleicht hätte er/sie Spass am Sex. Auch ist es möglich, dass sich eine Person ständig in sexuellen Phantasien bewegt und dadurch aus der Realität entflieht.
Sexsüchtige leben ihre Krankheit nicht immer nach aussen. Aber sie vernachlässigen immer ihr Selbst, auch wenn es so aussieht, als wären sie völlig selbstbezogen. Wie bei anderen Suchtformen sind die Betroffenen von bestimmten Gefühlen, dem Bewusstsein für ihr Selbst und dessen Bedürfnissen abgeschottet. Schliesslich liegt das Ziel jeder Sucht drin, jeglichen Kontakt zum Selbst zu unterbinden. Sexsüchtige stumpfen zusehends ab und brauchen – wie andere Süchtige auch – eine immer grössere «Dosis», um an ihren «Kick» zu kommen. In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zwischen der Abhängigkeit von sexuellen Phantasien und anderen sexuellen Suchtformen.

Hinweis
In Teil I gibt es eine generelle Einführung zu Romanzen-, Beziehungs- und Sexsucht. In Teil II finden Sie eine Weiterführung zu Süchten, Genesung, Nähe und Intimität sowie gesunde Beziehungen. Möchten Sie die eigene Persönlichkeitsentwicklung vorantreiben, dann empfehle ich die Grundbildung TA oder ein 1:1 Coaching/Beratung.

Referenzen
Wilson Schäf, A., Die Flucht vor der Nähe – Warum Liebe, die süchtig macht, keine Liebe ist, 1997, dtv.

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